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Meine erste Regatta

Der Onedesign Businesssprint

von | 29. Juni 2016

Vorgeschichte

Es ist Februar, als mich mein Freund Markus fragt, ob ich Interesse habe, mit ihm, seiner Lebenspartnerin Miriam und unserem gemeinsamen Freund Hannes an einer Mittelstrecken-Regatta teilzunehmen. Alle drei kenne ich schon mein halbes Leben. Markus und Miriam sind seit 15 Jahren passionierte Segler, vor sechs Jahren haben sie die Living Ocean Society gegründet, einen Verein, der sich mit maritimem Umweltschutz beschäftigt. Mittelstrecke, das bedeutet kein Bojen-kratzen (Diktion Markus) mit latenter Kollisionsgefahr, sondern eine längere Strecke vor der Küste zurücklegen – in diesem Fall von Umag im Norden Istriens bis Biograd, das ist ein Stück südlich von Zadar, Dalmatien. 130 Seemeilen/240km sind zurückzulegen, das Ziel wird unter günstigen Bedingungen in 24 Stunden erreicht – unter ungünstigen Bedingungen können es auch 30-40 sein. Der Name der Regatta – Onedesign Business Sprint – drückt aus, dass alle Crews mit baugleichen Booten fahren.

Der Gedanke an sportliches Segeln auf schnellen Booten reizt mich schon seit Langem. Hinzu kommt, dass die kroatische Küste ein schönes Revier ist. Bei günstigem Wetter die Abend- und Morgendämmerung und auch den Sternenhimmel unter Segeln zu erleben, kommt als Bonus oben drauf. Meine Bedenken gehen in eine andere Richtung: Habe ich die richtige Bekleidung, vor allem wenn es richtig kalt ist oder regnet? Was ist, wenn der Wind von vorne kommt, wir in dem Kanal von Zadar aufkreuzen müssen und sich das Rennen in den Abend des zweiten Tages zieht? Die Verlockung behält oberhand – hier Komfortzone, dort das Glück.

Wenige Wochen später wächst unsere Crew. Doris, die selten ein Abenteuer auslässt, gesellt sich zu uns und verspricht nicht nur mit ihrem Humor die Stimmung auf gutem Niveau zu halten. Zu fünft ist es auch leichter, Ruhewachen einzuteilen, so dass doch auf ein wenig mehr Schlaf gehofft werden darf.

Vorbereitung

Am 18. April bringt ein Reisebus die Teilnehmer von Wien nach Portorož, wo die Boote übernommen werden. In den slowenischen Bergen schneit es, und ich beginne, mir Sorgen zu machen. In Portorož ist es kühl und windig, aber der Regen endet bald. Die Regatta-Boote sind nach dem Funk-Alphabet benannt, heißen Tango, Whiskey, Zulu und in unserem Fall Papa. Wir nutzen den Nachmittag, um ordentlich Proviant einzukaufen – ist ja nicht auszuschließen, dass sich das Rennen in die zweite Nacht zieht, und wenn schon frieren, dann nicht auch noch hungern. Das Wetter beruhtigt sich gegen Abend, und die wackelige Passarella – das Brettl, über das wir an und von Bord gehen – sorgt für Spannung, denn das Wasser ist noch so kalt, dass man nur sehr sehr ungern hineinfallen würde.

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Am nächsten Morgen erwartet uns strahlender Sonnenschein, entsprechend heiter ist die Stimmung. Für 0900 ist das Skipper-Briefing angesetzt, um 1000 wird ausgelaufen, um 1200 soll der Startschuss fallen. Während der Fahrt nach Umag, wo noch einmal angelegt wird, um die Einreise in Kroatien formal korrekt abzuwickeln, üben wir die Handhabung der Segel und machen uns mit dem Schiff ein wenig detaillierter vertraut. Es weht eine sehr willkommene kräftige Brise aus West.

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Das Rennen

Nach dem Ablegen in Umag steigt die Nervosität merklich an. Auf relativ engem Raum kreuzen die zwölf Boote, die Crews bereiten die Segel vor, einige sind sehr ehrgeizig und versuchen, einen perfekten Start hinzulegen. Gestartet wird ohne Gennaker, und wir versuchen, uns aus dem größten Gedränge heraus zu halten. Pünktlich um 12 Uhr fällt der Startschuss, wenige Minuten später setzen die meisten Boote die Gennaker. Die bunten Ballonsegel und die glitzernden Wellen bieten ein sehr schönes Bild. Nachdem die Hektik für’s Erste vorüber ist, komme ich ein wenig zum Fotografieren. Der Wind ist kräftig, das Vorankommen mit Großsegel und Genua zügig, also schieben wir den Einsatz unseres Gennakers ein wenig auf.

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Eine halbe Stunde nach dem Start fällt die Entscheidung, unseren Gennaker zum Einsatz zu bringen. Das Setzen dieses sehr sperrigen, leichten und nur an den Eckpunkten gehaltenen Ballonsegels ist eine delikate Angelegenheit. Die Bergung bei starkem Wind erfordert beherztes, aber geschicktes Zupacken. Nass sollte er keinesfalls werden, der Herr Gennaker, und das Übelste wäre, wenn man mit dem Bootsrumpf drüber fährt und er sich im Kiel verfängt. Während wir das Segel nach oben zur Mastspitze ziehen, entschließt sich der Wind, um 90 Grad zu drehen. Der Rumpf hat plötzlich 60 Grad Lage, unser Baum taucht ins Meer und alle halten sich irgendwo fest. Wir brechen den Versuch ab und bergen den Gennaker wieder.

Ohne ist es ohnehin gemütlicher, und unser Vorankommen mit bis zu neun Knoten ist doch recht erfreulich. Der Rumpf kommt zeitweise richtig in Gleiten, ähnlich einem Surfbrett. Wir beobachten voll Neugier die Konkurrenz, die ausnahmslos mit Gennaker unterwegs ist, teilweise mit wechselvollem Geschick.

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Vier Stunden später, bei leichter gewordenem Wind, setzen wir wieder den Gennaker, dieses Mal mit Erfolg. Der Einsatz dieses Segels erfordert permanente Aufmerksamkeit von drei Personen, aber wir wollen den Abstand zu den weiter vorne liegenden Booten nicht noch größer werden lassen. Gegen Sonnenuntergang sehen wir in der Nähe von Pula ein paar Delfine, und mit Voranschreiten der Dämmerung gerät die Südspitze Istriens langsam außer Sicht. Die Nacht bricht herein. Unser Skipper hat einen Zwei-Stunden-Wachrhythmus vorgesehen. Ich darf mich zwischen 0000 und 0200 hinlegen, und dann noch einmal von 0400-0600. Ein halber Tag mit Raumwindkurs liegt hinter uns, bequemer kann man es gar nicht haben!

Neumondnacht

Es dauert eine Weile, bis mir klar wird, dass ich zwei Wochen nach Ostern vergeblich auf den Aufgang des Mondes warte. Umso schöner sind die Sterne, und die Venus leuchtet so hell, dass die Wellen im Gegenlicht glänzen. Es wird immer kälter, ich habe fünf Schichten Bekleidung angelegt und die Socken in den Gummistiefeln sind feucht und kalt. Langsam sehne ich mich in die Kajütte, in meinen Schlafsack, denn der Tee aus der Thermoskanne ist nicht von nachhaltiger Wirkung.

Als ich kurz vor 0200 erwache, hat sich die Geräuschkulisse geändert. Anstelle des gleichmäßigen Rauschens klatschen Wellen von Achtern gegen den Bootsrumpf. An Deck erkenne ich, dass die Segel schlaff herabhängen und kein bisschen Wind weht. Ich übernehme das Ruder mit dem Auftrag, den Bug in der gegenwärtigen Richtung zu halten. Die uns anschiebende leichte Dünung reicht dafür gerade aus. Ein Stück weit entfernt sind ein paar weiße Lichter zu erkennen, die ich für die Laternen einer Uferpromenade halte. Die aus dem Schlafsack mitgebrachte Wärme weicht schnell aus meinem Körper.

Eineinhalb Stunden später, gegen 0330, spüren wir, dass sich die Luft bewegt. Es kommt Druck in die Segel, das Boot setzt sich in Bewegung. Innerhalb weniger Minuten laufen wir vier Knoten, wahrlich ein Genuss – auch akustisch. Seltsamerweise bewegen sich die Laternen der Uferpromenade mit uns. Ich überlege ein wenig und komme zu dem Schluss, dass es sich um die Hecklichter der Konkurrenz handelt. Neun von zwölf Booten sind in der Flaute auf einem knappen Kilometer versammelt, wir haben wieder Chancen auf eine gute Platzierung.

Morgendämmerung und Zielgerade

Als ich zum zweiten Mal aus dem Schlafsack krieche, hat die Morgendämmerung eingesetzt, und wir befinden uns bereits im Kanal von Zadar. Hinter der Küste sind einige Berge noch mit Schnee bedeckt. Erst einmal Nahrung aufnehmen. Bei zunehmendem Tageslicht dürfen wir die Rettungsleinen ausklinken und die Schwimmwesten ausziehen. So schön die Nacht war, so sehr freue ich mich auf die wärmende Sonne. Die Konkurrenz wird wieder mit mehr Interesse beobachtet, und wir setzen den Gennaker. An der Küste gleiten ein paar Touristendörfer vorbei, vor der Vorsaison ist es dort noch sehr still.

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Der Wind bläst den Kanal entlang aus Nordwest und wird mit Sonnenaufgang lebhafter, also fahren wir jetzt alle paar Minuten eine Halse. Die körperliche Betätigung treibt die Kälte und die Müdigkeit aus den Gliedern. Der Vormittag wird kurzweilig, weil sich acht Boote in Sichtweite befinden und nur drei weit zurück liegen. Wir bemühen uns, die Manöver präzise durchzuführen und keinen Meter an die Konkurrenz zu verschenken.

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Schneller als gedacht ist das Ziel in greifbarer Nähe, wir hören den Signalton, der den Zieleinlauf des siegreichen Bootes verkündet. Eine Minute später hören wir den Ton erneut, das zweitplatzierte Boot mit nur drei Personen ist ebenfalls im Ziel – eine tolle Leistung! Mit nur vierzehn Minuten Rückstand – das ist 1% der Gesamtdauer – überfahren auch wir die Ziellinie. Ich bin ein bisschen traurig, dass wir jetzt die Segel bergen. Alles wäre gerade so perfekt – Wind, Welle, Sonne!

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Es folgt ein geruhsamer Abend und frühe Nachtruhe, denn es ist einiges an Schlaf nachzuholen. Am nächsten Tag stehen Bootsrückgabe, Mittagessen und Siegerehrung auf dem Programm, alle Boote sind in der Wertung, niemand hat sich verletzt, nichts ist kaputt gegangen. Die Rückfahrt nach Wien bietet viel Zeit für Nachbesprechungen. Mein besonderer Dank ergeht an Markus, Miriam, Doris und Hannes und den Veranstalter, die Segelschule Hofbauer.

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GOTTFRIED JÄGER

Darum geht es in Gottfrieds Fotos: Eine Szene, eine Stimmung, eine Wahrnehmung in ein Bild fließen zu lassen – aufzunehmen – um sie dann mit Anderen zu teilen. Die digitale Fotografie fasziniert ihn wegen der einfachen Zugänglichkeit des Teilens von Bildern mit beliebig vielen Menschen auf dem ganzen Planeten. Gleichzeitig erschreckt es ihn, wie wenig Aufmerksamkeit dem einzelnen Bild aufgrund der dadurch entstehenden Menge zukommt. Wenn eines seiner Bilder die Betrachterin, den Betrachter berührt, ist viel gelungen.

11 Kommentare

  1. Für „Nicht-Segler“ wie mich ein sehr interessanter Artikel und schöne Fotos!
    LG Katerina

  2. Hallo Gottfried!
    Danke dass du mich auf dieser Regatter mitgenommen hast! Durch deine lebhafte Schilderung konnte ich direkt die Gitsch spüren, die mir der Wind ins Gesicht geblasen hat!
    lg nicki

  3. Ich zähle mich ebenfalls zu den Nichtseglern und finde die detailgenaue Segler-Sprache besonders schön. Nicht nur die Sprache natürlich. Auch die Fotos. Mein persönlicher Favorit sind die bunten, vom Wind getriebenen Segel. Die haben was richtig Kraftvolles in sich.

  4. Herzlichen Dank für die Kommentare!
    @neni, es war glücklicherweise recht trocken im cockpit, was auch ganz anders hätte sein können auf einem relativ kleinen und sehr flachen Schiff. Die Salzwasser-Gnackwatschen hab ich bei anderer Gelegenheit schon kennen gelernt.
    @katerina, es war genau das Richtige für mich. Ein Geschenk, diese Bedingungen.
    @Regina, an Bord ist so viel, das besser nicht verwechselt werden sollte. Da hilft es, die Dinge sprachlich klar zu trennen. Das Segeln ist ein Erlebnis für alle Sinne. Auf den Fotos ist naturgemäß nur der optische Eindruck vermittelbar, das Übrige muss aus der Erinnerung geschöpft werden.

  5. Gottfried,

    schön daß ihr viel Spaß gehabt habt – zumindest so wirken die Bilder.

    Meiner Erfahrung nach funktionieren am Segelboot bei Regatten am besten Weitwinkel so um die 24mm oder kürzer und dann nah dran gehen. Oder mit dem Tele auf den Mast klettern, wenn man andere Boote aufnehmen will.

    Liebe Grüße,
    Jo

  6. Gefällt mir außerordentlich!
    LG
    P.

  7. Das Lesen des Berichts und das Bewundern der Bilder macht wirklich Spaß. Obwohl ich noch nie gesegelt bin, habe ich richtig Lust auf Segeln bekommen! Allerdings fürchte ich, dass zwar der Geist willig wäre, aber …

  8. Hallo Gottfried,
    deine neue Berufung ist gefunden – ab jetzt Reiseberichterstatter, Photoreporter, Literat auf Reisen, … – suche es dir aus.
    Danke für schöne Geschichte, ich freue mich schon auf die nächste!
    Liebe Grüße,
    Helmut

  9. Wunderbar lebendig, deine Schilderung, und Urlaubs-Sehnsüchte-weckend, deine Bilder.
    Danke für diesen Beitrag!

  10. Danke für Euer Interesse!
    @Jo, die Bilder täuschen keinesfalls. War auch eine schöne Spielwiese für mein zu dem Zeitpunkt noch frisches 16-35mm Zoom.
    @Peter – Schönen Dank für die Blumen.
    @Klaus, probieren geht über studieren. Die Farbwahrnehmung ist allerdings hilfreich beim Sortieren der Schnürln.
    @Helmut, Literat auf Reisen gefällt mir am besten.
    @Gabriela, ein Leben ohne Sehnsüchte wäre fad. Besser, sich von ihnen leiten zu lassen.

  11. Gottfried,

    in der Nacht sind alle Schnürln schwarz. Da brauchst keine Farbe. Nur beim Navigieren in der Nacht ist es eher nützlich Rot von Grün unterscheiden zu können. Ist das die linke oder rechte Boje vom Fahrwasser, wo daneben Felsen darauf warten, das Unterwasserschiff kinetisch umzugestalten. Aber mit GPS_Plotter, AIS und Radar ist das heutzutage auch nicht mehr so ein Problem.
    Jo

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