DSC_2200-AKW Zwentendorf-Stefan Sontheim
Lokalaugenschein im AKW Zwentendorf

Atomkraft? Nein, danke!

von | 12. April 2017

Mehr als drei Jahrzehnte vor  Fukushima und knapp acht Jahre vor Tschernobyl entschied das österreichische Volk über die Zukunft der Kernenergie in seinem Heimatland. Mit einer knapper Mehrheit von 50,47%  wurde am 5. November 1978 in einem Volksentscheid die Inbetriebnahme des in der Nähe von Wien stehenden Atomkraftwerks Zwentendorf abgelehnt.

Es erhielt damit einen einzigartigen Status:  Es ist das einzige, der weltweit 442 Atomkraftwerke, das nie in Betrieb ging. Sechs weitere Jahre wurde das AKW-Zwentendorf noch betriebsbereit gehalten bis es dann im März 1985 endgültig liquidiert wurde. Etwa eine Milliarde Euro waren bis zu diesem Zeitpunkt verloren.

Die Frage war nun: Was macht man mit einem Atomkraftwerk, das nicht ans Netz gehen darf? Statt eines Abrisses entschied man sich für die weitere Nutzung als Ersatzteilspender für baugleiche Atomkraftwerke und als Schulungsort für Kraftwerkspersonal.

Seit kurzem können auch Fotografen- und Filmteams gefahrlos die strahlungsfreie Industrieruine als Foto- und Filmlocation nutzen. Ein zugegebenermaßen teures ab auch einzigartiges Bauwerk von besonderem Charme und „Schönheit“. Ende Dezember 2016 erhielt ich die Gelegenheit, mich dem ersten deutschen Fotografenteam anzuschließen, das mit etwas Glück eine Fotografiererlaubnis für das AKW Zwentendorf erhielt.

Lets go inside AKW Zwentendorf!

An einem grauen Dezembertag machen wir uns auf den Weg in das Innere der strahlungsfreien Atomanlage. Unglaublich, das Gebäude hat 1050 Räume und kein einziges Fenster! Leider haben wir für die Besichtigung nur ein begrenztes Zeitkontigent von fünf Stunden. Damit wir uns nicht verlaufen, bekommen ich zusammen mit einem Fotografenkollegen einen Führer zugeteilt. Er kennt die interessantesten Räume und lässt uns je Raum ausreichend Zeit für unsere Fotoaufnahmen.

Es ist gespenstisch still in der Anlage. Man hört nur das Surren der Leuchtstoffröhren und gelegentlich das Zufallen einer Stahltüre. Ich fühle mich verloren im Innern dieser gigantischen Anlage. In den ersten Räumen wirkt die Anlage fast so, als ob sie tätsächlich in Betrieb wäre. Alle Räume sind beleuchtet, die Kontrolllampen blinken, auf den Umkleideschränken der Personalräume stehen Schutzhelme, Arbeitskleidung hängt an den Bügeln über den Waschbecken.

Spätestens beim Betreten der Reaktorräume wird jedoch klar: Die Anlage liegt seit fast 40 Jahren im Dornröschenschlaf. Im Normalbetrieb wären die Reaktorräume aufgrund der Strahlenbelastung nicht betretbar. Ich lasse mit einem Seil Kamera und Stativ in das 20 m tiefe Flutbecken hinab und steige anschließend über eine Leiter selbst hinab. Am Boden des Flutbeckens habe ich direkten Blick auf den Reaktorkern, den Ort an dem 484 hochradioaktive Brennstäbe ihren Dienst verrichtet hätten. Es ist ein banges und unbeschreibliches Gefühl. Im Normalfall hätte ich diese Aufnahmen niemals machen können.

Mit den nachfolgenden Bildern tauche ich weiter von Raum zu Raum in das Innere der Anlage ein, und bin fasziniert vom Kontrast der unbenutzten, wie neu wirkenden und blitzblank polierten Bauteile und der zugleich vollkommen veralteten Anlagentechnik.

Beim Betreten und Verlassen der Anlage hätten sich die Mitarbeiter einer Messung  unterziehen müssen um die täglich aufgenommene Strahlungsdosis festzustellen.

Mit Hilfe der Steuerstäbe wird die Leistung eines Reaktors geregelt.

Doppelte Personenschleuse für den Eintritt in das Innere des Reaktorsicherheitsbehälters.

Die Zentrale der (Ohn-)Macht. Von hier aus wurden sämtliche Systeme der Anlage gesteuert und überwacht. Seit über 30 Jahren leuchten und blinken hier die Lämpchen der Anzeigegeräte.

Flutbecken mit Blick in den Reaktorkern: Im Reaktorkern findet die Kernspaltung statt. Beim Wechsel der Brennelemente wird das Betonbecken mit Wasser geflutet und der Reaktordeckel aufgeschraubt. Der Tausch der Brennelemente findet unter Wasser statt.

Die Kondensationskammer wäre im Betriebsfall mit 2.200 m3 deonisiertem Wasser gefüllt gewesen. Im Störfall wäre sie als Sicherheitssystem zur Ableitung und Kondensierung des Dampfes aus dem Reaktorbehälter vorgesehen gewesen.

Auf die Turbinenschaufeln trifft der 270° C heiße Dampf mit 80 bar Druck und treibt die Turbine an.

Im Maschinenhaus sind die Dampfturbinen zur Stromerzeugung untergebracht. Die geplante Nettoleistung der Turbinen beträgt 690 Megawatt.

„Energie der Zukunft“ steht auf einem riesigen Schild in der Turbinenhalle. Heute, nicht einmal 40 Jahre später, müsste der Satz auf dem Schild geändert werden in: „Energie der Vergangenheit“.

STEFAN SONTHEIM

Stefan fotografiert seit den 1980er Jahren voller Leidenschaft. Fotografieren bedeutet für ihn Entspannung, Meditation, Konzentration und Freude schenken. Er lebt mit seiner Frau und den beiden Töchtern in Augsburg und hat dort ein kleines Fotostudio. Er beschäftigt sich fotografisch mit Menschen, Gegenständen und Architektur.

2 Kommentare

  1. Lieber Stefan, deine Bilder sind bildkompositorisch wie immer ein Traum! Schön, dass du uns ein so exklusives Fotomotiv näher bringst.

  2. Atmosphärische Bilder von einem für Österreichs Geschichte bedeutsamen Ort. Lädt zum Spekulieren ein, was gewesen wäre, wenn.

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