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Tromsø

Von der Ästhetik scheinbar hässlicher Orte

von | 3. August 2016

Tromsø, die achtgrößte Stadt Norwegens, beheimatet die nördlichste Universität der Welt. Und auch die nördlichste Kathedrale der Welt. Das Tromsø Internasjonal Filmfestival ist das größte Norwegens sowie – wenig überraschend – das nördlichste der Welt. Kein Wunder, Tromsø bzw. Romsa, wie es in der Sprache der Samen genannt wird, liegt in der Luftlinie 344 Kilometer  nördlich des Polarkreises. In der Aneinanderreihung von Superlativen punktete Tromsø bis 2013 außerdem damit, dass nirgendwo weiter nördlich auf der Welt Bier gebraut wird, diesen Titel beansprucht seither eine grönländische Brauerei für sich. Aber das macht nichts. Immerhin spielt in dieser Stadt noch das nördlichste Symphonie- und Kammerorchester Europas. Nicht vergessen werden darf das größte Glasmosaikfenster Europas hinter dem Altar der Eismeerkathedrale. Das ist doch schon mal was.

Als ich an einem mürrischen Tag mit hohen Erwartungen durch Tromsø schlendere, bin ich innerlich versucht, die Stadt neben all den „nördlichstes Irgendwas-Attributen“ mit dem hässlichsten Hafen der Welt zu adeln. Verfallene Bretterbuden mit abgewittertem roten Lack sowie zerbrochene Glasscheiben, die schon ewig hier zu liegen und niemanden zu stören scheinen, reihen sich an ein Chaos aus rostigen, mit Stauden überwucherten Drähten, Eisengestellen und zerbeulten Ölbehältern, die kreuz und quer in der Gegend verstreut sind. Mit einem traditionell österreichischen Ordnungsverständnis sozialisiert, überkommt mich ein Gefühl von Verfall und Verwahrlosung, während ich mit dem linken Fuß bis zum Knöchel in eine Morastlache trete. Eine verhallende Schiffshupe klingt wie der Abgesang auf eine einst bedeutende Hafenstadt. Dahinter, am Ende jener geschwungenen Brücke, die das Stadtzentrum mit dem Festland verbindet, thront in krassem Gegensatz dazu die beeindruckende Eismeerkathedrale. Die entspricht schon eher dem, was ich mit einem reichen Land wie Norwegen assoziiere.

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Obwohl Tromsø Station der Hurtigruten und seit vielen Jahrhunderten Ausgangspunkt für Expeditionen in die Polarregion ist, scheint der Hafen ein Schattendasein zu führen, sobald man ein paar hundert Meter von der Anlegestelle weg spaziert. Schade, wie ich finde. Das hat diese kleine, feine Stadt nicht verdient.

Ich überquere die Brücke und gelange zur Eismeerkathedrale, wo gerade die Messe zu Ende ist. Hunderte Norwegerinnen und Norweger in Tracht strömen fröhlich lachend aus der Kirche hervor. Auf mein Nachfragen hin erfahre ich, dass heute ein nationaler Feiertag sei. Nun könnte ich hier ein paar tolle Bilder der Eismeerkathedrale zeigen. Die Architektur, der Lichteinfall, die Schattierungen, die Orgel, das bunte Glasfenster, die Atmosphäre haben mich ergriffen und staunen lassen. Gleiches gilt übrigens für die Stadtbibliothek. Da haben Norwegens Architekten gezeigt, was sie können.

Stattdessen entschließe ich mich, auf dem Rückweg noch mehr Zeit entlang des Hafens zu verbringen und mich auf die „schiache Schwester“ der architektonischen Prestigebauten einzulassen. Vielleicht könnte ich ja mit der Kamera ein paar verborgene Reize dieses vermeintlich hässlichen Ortes sichtbar machen und damit einen anderen Blick auf die Stadt werfen.

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Bereits mit klammen Fingern entdecke ich schließlich das ästhetische Reservoir dieser Stadtgegend, das mir einen gewissen Respekt vor dem „Unansehnlichen“ abnötigt. Denn letztlich kommt diesen Objekten mit ihrer Formenvielfalt, mit den rostigen Wellblechdächern und dem abgewitterten Lack als Symbole der regionalen Wirtschafts- und Arbeitsbewegung eine bedeutende Rolle zu.

REGINA M. UNTERGUGGENBERGER

Regina wollte schon als kleines Kind Geschichten schreiben. Später, bereits tief im Berufsalltag einer Kommunikationsentwicklerin verankert, wollte sie unbedingt fotografieren. Heute macht sie beides. Sie erzählt Geschichten in Bild und Wort. Geschichten von besonderen Menschen, Plätzen und Begegnungen. Dabei legt sie stets Wert auf die innere Verbindung zu den Menschen, Landschaften und Dingen, die sie portraitiert.

5 Kommentare

  1. Jenseits ästhetischer Massenpfade gibt es eine ganze Menge zu entdecken. Jedenfalls scheint Tromsö recht interessant, wenn auch der Winter dort ein wenig abschreckend sein dürfte. Eines will mir jedoch nicht in den Sinn: Wie kann eine Brauerei auf Island, das gerade ein wenig am Polarkreis kratzt, nördlicher gelegen sein als Tromsö? Oder wird auf einem Schiff gebraut, das irgendwo vor Grönland kreuzt?

  2. Lieber Gottfried, wie du richtig vermutest, liegt die nördlichste Brauerei der Welt in Grönland … das ja bekanntlich nicht zu Island, sondern zu Dänemark gehört. War mein Fehler.

  3. Ja, man muss sich darauf einlassen, als Fotograf vor Ort und als Betrachter der Fotografien. Von einer Urlaubsreise erwarten beide Seiten üblicherweise andere Bilder. Gelungen ist es mir vor allem bei der Aufnahme im Hochformat, weil hier markante Elemente in Farbe und Anordnung eine gewisse Spannung erzeugen. Das Bild fesselt mich, aber trotzdem wirken die Abbildungen kalt und trostlos auf mich, so dass ich mich vermutlich abgewandt und doch die moderne Architektur anvisiert hätte ;-).
    Liebe Grüße
    Conny

  4. Liebe Conny, ja, das hochformatige Bild übt auch auf mich eine eigenartige Anziehung aus, obwohl ich nicht genau sagen kann, warum. Da ich ja im Jänner eine Fotoreise nach Nordnorwegen leite, veröffentliche ich zu gegebener Zeit sicher auch noch eine Bilderserie zur modernen Architektur in Tromsö. Die ist nämlich wirklich vom feinsten.
    In den letzten Jahren habe ich es mir angewöhnt, von Zeit zu Zeit auch das Hässliche ganz bewusst anzuschauen. Gerade in Deutschland und Österreich sind wir ja daran gewöhnt, dass alles aufgeräumt und gepflegt ist. In zahlreichen anderen Ländern ist hässliche Architektur aber integraler Bestandteil jeder Stadt und jedes Dorfes, vom Bretterverschlag über die Lehmhütte bis hin zu Behausungen, die notdürftig aus Plastiksäcken und anderen Abfällen zusammen geschustert sind. Lieber Gruß!
    Regina

  5. Wir laufen jetzt seit zwei Tagen in Tromsö herum und können nur den Kopf schütteln über die Hässlichkeit dieser Stadt. Überall wo man hinkommt, völlig zusammengewürfelte Beliebigkeit aus halb verschimmelten Holzhäusern neben irgendwelchen 70er Jahre Stahlbetonbauten. Es gibt ganz offensichtlich keinerlei Stadtbauplanung oder Regeln bezüglich der Ästhetik irgendwelcher Gebäude relativ zur Umgebung. Noch dazu befindet sich alles, egal ob alt oder neu, grundsätzlich in unterschiedlichen Stadien des Zerfalls. Schließlich ist die ganze Stadt auch noch verdreckt und sämtliche Fensterscheiben sehen so aus, als seien sie vor fünf Jahren zum letzten Mal geputzt worden. Ist uns ein Rätsel das Ganze.

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