Marokko
All shall be equal #2

Wohin die Füsse tragen

von | 3. August 2017

Ich mag das Wort „mäandern“ für meine Wege durch Kapstadt. In ihm drückt sich am besten aus, wie es mich durch die Stadt trägt. Einem grob skizzierten Plan folgend, mal hier, mal dort verweilend.  Meine Füße schmerzen, ich bin seit Stunden unterwegs. Ein kleiner Film aus Schweiß liegt auf meiner Haut.Die Sonne und der Wind machen im südafrikanischen Winter einen ständigen Wechsel zwischen Jacke aus und Jacke an nötig. Ich mag dieses Gefühl der Anstrengung. Es erzeugt eine Art vin Präsenz und intensiviert noch einmal die ohnehin starken Eindrücke, die hier von allen Seiten auf mich einprasseln. Ich lebe. Kurz denke ich an all diejenigen, die zu Hause ihre Schritte, ihren Puls, ihre Geschwindigkeit , ihre Orgasmen und ihren Stuhlgang von smarten Geräten am Arm aufzeichnen lassen und ihre Tagesergebnisse dann ihren virtuellen Freunden verkünden. Ständiger Zwang zum Wettbewerb und Selbstoptimierung. Alles hier abgeschaltet. Hier braucht so ein Gerät kaum jemand. Für die Menschen, die an diesem Ort leben, ist Bewegung ein selbstverständliches Tun.

Bo-Kaap

Schließlich tragen mich meine Füße nach Bo-Kaap. Bunte und farbenfrohe Häuser in kleinen und engen Gassen. Dazwischen Moscheen, dann wieder ein kleiner Kiosk. In den schmalen Straßen, die hier am Fuß des „Signal Hill“ alle steil nach oben führen, trifft man nur wenig auf wenig Menschen.

Und doch spüre ich plötzlich Schritte hinter mir. Kurzer Schreck:  Denn bei aller Schönheit der Stadt, ist  hier und dort als Solospieler eine gewisse Umsicht auf den Straßen angeraten. Ein junger Mann spricht mich an, weist auf meinen Rucksack am Rücken und fordert mich auf vorsichtig zu sein. „Bad people“ seien hier auch unterwegs. Er selbst aber sei keiner, versichert er, er  bettele auch nicht, wie viele andere, führt er weiter aus; aber nur um gleich darauf zu fragen, ob ich ein paar Rand übrig habe. Minuten später sitzen wir an der Bordsteinkante. Er erzählt mir von seiner muslimischen Familie, seinen fünf Geschwistern und seinem Vater, der krank sei und nicht arbeiten könne. Am Ende machen wir ein Geschäft: Ich fotografiere ihn, er bekommt ein paar Rand. Sein Blick auf das Display wird zu einem Erlebnis für ihn. Er lächelt mich an und nimmt mich am Ende in den Arm. Vom ZAUBER von Begegnungen.

Nur ein paar Straßenzüge weiter und gut eine halbe Stunde später komme ich mit einem Verkäufer des Straßenmagazins „MY BIGISSUE“ ins Gespräch. Eine Viertelstunde lang sprechen wir über „Bayern München“ und  Hamburg, über nette und eklige Touristen (seiner Meinung nach nett sind Australier und eklig sind Amerikaner). Zu den Deutschen fällt ihm nur „Merkel“ ein ( gibt uns das nicht zu denken?) . Ich kaufe keine Ausgabe des Magazins, zahle es aber dennoch. Auch hier wieder ein Foto, eine Umarmung und ein Lächeln zum Abschied.

Am nächsten Tag besuche ich Robben Island. Die Insel, auf der die politischen Gefangenen des Apartheid-Regimes eingesperrt wurden. Eine wuchtige Konfrontation mit Willkür, Folter und Unterdrückung. Und Begegnungen: Nelson Mandela lernt man hier kennen, die Erzählungen über ihn sind so lebendig, man spürt förmlich seine Anwesenheit, wenn die Touristen angesichts der Erzählungen schweigen.

Ein ehemaliger Häftling führt die Menge durch Zellen und Gebäude. Wie oft er wohl diese Geschichten schon erzählt haben mag? Doch man spürt keine Routine, keine Langeweile. Im Gegenteil:  Er ist leidenschaftlich, seine Ausführungen sind fast ein Plädoyer, eine Anklage gegen Gewalt und Unterdrückung. Ein Aufschrei für Menschlichkeit und Demokratie. Gänsehaut am ganzen Körper durchfährt mich und Demut wird zum ständigen Begleiter in den kommenden Tagen, in denen ich weiter durch die Straßen von Kapstadt stromerte.

Ich denke an den Satz, den ich hin gesprüht an einer Hauswand fand: „All shall be equal“.

WERNER PECHMANN

Werner ist ein Kind der Babyboomer-Generation und  lebt im Weserbergland, Hannover sowie in Berlin. Er arbeitet gerne intuitiv und folgt mit der Kamera in der Hand seinem Gefühl und der momentanen Stimmung. Auf diese Art und Weise werden seine Bilder oft literarisch und philosophisch. Werner macht keine „shootings“. Er „shootet“ auch nicht. – Er fotografiert.

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