Wald
Fotograf im Blick

Der Fotoflüsterer

von | 3. November 2016

10 Tage habe ich dem Fotografen Kurt Moser beim Fotografieren in den Dolomiten zugeschaut. Er macht 1 Bild pro Tag. Unikate, 800 Jahre haltbar. Das hat mich tief beeindruckt und mein eigenes Fotoverhalten verändert.

Kurt Moser atmet tief ein. Die Augen verengt, das dunkelgraue Haar schweißnass auf der Stirn, der Blick zentriert auf diesen einen Moment. Er sinkt ein wenig in die Knie als wolle er sich mit der Erde verwurzeln, als wolle er eins werden mit seiner Kamera, die er zärtlich „mein Baby“ nennt. Auf zwei Tischböcken lagert sie, wie ein Raubtier zum Sprung bereit, das tellergroße Objektiv auf die Beute gerichtet: die Geislerspitzen. Wie Fontänen ragen die grauen Zacken des Felsmassivs aus den sattgrünen Wiesen hervor. Jede Felsspalte, jedes Steinchen, jedes Spiel mit Licht und Schatten will Moser festhalten. Auf einem Foto, dass es niemals zweimal geben wird. Ein großformatiges Unikat auf schwarzem Kathedralglas. Mindestens 800 Jahre haltbar.

img_2706Das Motiv der Fotosession: Die Geislerspitzen in den Dolomiten

img_2606Aufbau der alten Kamera auf der Wiese

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Ein Foto am Tag – mehr ist nicht drin

Den ganzen Tag hat er dieses eine Foto vorbereitet. In seiner gelben Plastikschürze und den langen, wehenden Haaren sieht der 50 jährige aus wie ein Hexenmeister. Stundenlang ist er hin und her gelaufen zwischen Kamera und Labor. Das befindet sich in einem umgebauten Lieferwagen, wo er geheimnisvolle Lösungen mixt und Silberbäder fertigmacht. Zwischendurch schaut er immer wieder fragend und forschend zum Felsmassiv der Dolomiten, als läge dort eine Antwort auf das Leben. Und dann fällt ganz beiläufig so ein Satz: „Das war alles mal unter Wasser. Und jetzt schau diese massiven Gebilde an: gebaut von Milliarden von klitzekleinen Korallenwesen. Ist das nicht Irre? Man ist so klein hier oben“ und mit brüchiger Stimme „das ist es vielleicht warum ich das tue. Man vergisst einfach den Rest der Welt.“

img_2614Moser sortiert seine tellergroßen Objektive

img_2623Probegucken

img_2639Die Glasplatten müssen überaus gründlich gereinigt werden

img_2635Im fahrbaren Labor: Moser bereitet das Silberbad vor

Kurt Moser war viele Jahre als Kriegsfotograf unterwegs. Afghanistan, Syrien, Irak. Jetzt ist er in seine Heimat zurück gekommen, will bleiben. Mit einer Projektidee, die ebenso gewaltig zu sein scheint wie die Berge, die er so liebt. Er will die Dolomiten und einige seiner Bewohner, vorzugsweise fast hundertjährige Bauern, mit einer uralten Fototechnik, der Ambrotypie, auf 100 mal 150 cm großen Glasplatten verewigen.

Von der Idee zum Projekt

Wie kommt man auf so eine Idee, will ich von Kurt wissen. Eigentlich sei die Idee zu ihm gekommen, antwortet er lachend. An einem Herbsttag 2013 fährt er nach Mailand auf der Suche nach neuen Optiken. Zufällig entdeckt er unter einer zentimeterdicken Staubschicht eine Kamera aus dem Jahr 1907. „Ich fand die einfach nur schön, wußte in drei Sekunden, dass ich die haben muss“ wird er später sagen. Er kauft die fast zwei Meter große Holzkamera für 500 Euro und schleppt sie nach Bozen, ohne zu wissen was er damit anstellen soll. Erst zu Hause stellt er fest: für diese Kamera gibt es gar keine Filme. Danach verbringt er fünf Monate lang in der Dunkelkammer und versuchte ein Foto im Ambrotypie-Verfahren herzustellen. Kein einziges sei gelungen. Er sei fast verzweifelt. Aber der Kurt sagt sich:“ Hey, die haben das 1850 geschafft, warum sollte ich das nicht schaffen.“ Und hält durch, bis die ersten Bilder gelungen sind.

Um die ganz großen Fotos zu machen, hat Kurt Moser sich einen alten Ural-LKW gekauft. Den will er zum fahrenden Fotolabor umbauen lassen. Die Kamera mit ihrem riesigen Objektiv soll in die Karosserie eingebaut werden. Dafür macht er jetzt ein Crowdfunding. Das läuft noch bis zum 9. November und soll 50.000 Euro für den aufwendigen Umbau einbringen. Besonders großzügige Unterstützer können sich auf eine Begegnung mit dem Fotografen freuen. Auch ein Ambrotypie-Foto gibt es ab einer bestimmten Summe. Was sich ursprünglich wie eine ferne Utopie anhörte, nimmt nun Formen an. Ein bisschen verrückt sei das schon, gibt Moser zu. Aber er wisse genau, was er tue.

img_2065Dieser Ural-Lkw soll zur fahrenden Kamera umgebaut werden wenn die Crowdfundingkampage erfolgreich ist.

2019 werden die Bilder im Fotomuseum Berlin ausgestellt

Und wenn er heute mit wirrem Haar und schweißnasser Stirn kurz vor dem Auslösen neben seiner Kamera vor einem Felsmassiv steht, ist all sein Mühen, sein jahrelanges Probieren und Austesten in diesem Moment präsent. Er atmet tief ein, verwurzelt sich mit der Erde, atmet aus, zieht die schwarze Objektivkappe ab und zählt die Sekunden der Belichtungszeit bevor er sie wieder schließt. Dann bleiben ihm genau 5 Minuten um das Bild zu entwickeln. Er rast mit der Platte quer über die Almwiese in sein mobiles Labor. Man hört es gluckern und knacksen, klicken und rauschen. Und dann kommt er raus. Während das Abendlicht die Zacken der Geislergruppe gerade in zartrosa taucht, erscheinen sie auf der schwarzen Platte überirdisch schön in schwarz-weiß und einer ganz besonderen Patina. Dieses eine Photo wird für immer ein Unikat sein. Es kann nicht vergrößert oder verkleinert, nicht vervielfältigt und nicht bearbeitet werden. Es bleibt für immer so, wie es ist. 2019 wird es in den Museen von Berlin, New York und London ausgestellt werden. Kurt schaut sein Bild an und strahlt. Jetzt entspannen sich seine Züge, sein Blick wird weich. Er setzt sich ins Gras, eine Flasche Bier in der Hand, schaut auf die Berge und prostet ihnen zu.

img_2700Nach einem ganzen Tag Arbeit ist das Bild fertig und wird gewaschen.

img_2703Wenn ein Bild gelingt, ist Moser glücklich.

Und am Ende steckt mich die Entschleunigung an

Und ich daneben, hin und weg, schaue auf die Berge und schaue jetzt ganz anders als noch heute morgen. Allein Kurt beim Arbeiten zuzuschauen, seine Konzentration auf das Wesentliche mitzuerleben, hat mich entspannt. Irgendwann habe ich aufgehört, Fotos zu machen und zu denken. Ich war einfach nur noch da. Und dann ist noch etwas passiert. Seit meiner Erfahrung mit Kurt Moser fotografiere ich zwar immer noch digital, aber anders. Langsamer. Entspannter. Konzentrierter. Und ich mache weniger Fotos.

 

Crowdfunding-Kampagne von Kurt Moser

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GITTI MÜLLER

Gitti Müller ist Journalistin und Filmemacherin. Sie hat eine Leidenschaft: Geschichten erzählen. Manchmal mit Worten. Aber immer mit Bildern. Die Fotografie erlaubt ihr den unmittelbaren Zugang, den direkten Draht zu den Menschen, die sie portraitiert. Die Kamera schafft auf wundersame Weise zugleich Distanz und Nähe, sagt Gitti, und erlaubt die Welt aus einer anderen Perspektive zu erleben. Mit ihren Bildern und Geschichten möchte sie dieses Erleben weitergeben.

2 Kommentare

  1. Liebe Gitti, das ist eine ganz wunderbare Geschichte, die du uns da erzählst. Mir ist es diesesn Sommer in Rumänien extrem aufgefallen, wie sehr der Urlaub vieler Menschen in der Anzal gemachter Fotos bewertet wird. Ich selbst bin ebenfalls eher langsam beim Erarbeiten eines Motivs und wudere mich immer, wie viele Bilder andere Menschen vergleichsweise machen.

  2. UNGLAUBLICH * BEWEGEND*

    Ich bin sprachlos….werde diesen „Bericht“ bestimmt nochmals lesen.

    Es muss berühren, solch einem Menschen wie Kurt Moser zu begegnen.
    Gerade in der heutigen schnelllebigen Zeit von Handyfotos & digitalen
    Bildern, zeigt es umso mehr, wenn man NUR einen AugenBlick hat,
    dass das Auge das Bild macht!

    Großes Kompliment an Dich, Gitti, diese Geschichte mit uns zu teilen.

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