Marokko
Wenn das Gute liegt so nah

Eine Liebeserklärung an Slowenien

von | 8. Oktober 2015

Etwa eineinhalb Stunden von meinem Zuhause entfernt, liegt das kleine, unscheinbare Slowenien, eingezwängt zwischen Italien, Ungarn, Kroatien und Österreich. Es scheint ewig her zu sein, dass ich als Küchenhilfe und Zimmermädchen auf der Erjavceva Koca, einer Alpenvereinshütte in den Julischen Alpen, gearbeitet und in Maribor/Marburg studiert habe.

Ich kann mich noch genau daran erinnern, wie oft ich damals von Menschen mit einem eher gering ausgeprägtem Vorstellungsvermögen gefragt wurde, welchen Sinn es machen würde, eine Sprache zu studieren, die nur von zwei Millionen Menschen gesprochen wird. Wenn schon eine slawische Sprache, dann doch wohl eher Russisch oder sowas in der Richtung, befanden sie. Jedenfalls was Großes.

Außer beim Wandern und Bergsteigen in den Julischen Alpen spreche ich die Sprache heute kaum noch. Schade, denn ich spreche sie gerne und bin nach wie vor der Meinung, es sei die schönste und romantischste Sprache der Welt. Das hat auch damit zu tun, dass die slowenische Sprache als einzige Sprache der Welt neben Einzahl und Mehrzahl auch eine Zweizahl kennt. Wer Slowenisch lernt, wird deswegen häufig fluchen und sich die Haare raufen. Ich nehme die grammatikalische Herauforderung aber gerne an. Denn es ist doch ein gewaltiger Unterschied, ob ich sage „Wir wandern jetzt zur Hütte“, oder ob ich sage „Wir beide wandern jetzt zur Hütte“. Die Zweizahl implementiert eine menschliche Exklusivität, die ich mir mittlerweile sogar in meiner Muttersprache Deutsch angewöhnt habe.

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Und diese Exklusivität trifft nicht nur auf die Sprache, sondern auf ganz Slowenien zu. Das Land ist etwa siebzehn Mal kleiner als die Bundesrepublik Deutschland und rund viermal kleiner als Österreich. Auf seinen gut 20.000 km² Fläche finden wir gediegene, einfache Wandertouren, alpinistisch anspruchsvolle Kletterrouten und Weitwanderwege, sanfte Hügel, Weinberge, Karst, mediterrane Kulturlandschaft und schließlich das Meer. Hier treffen sich die Kulturen und Landschaftsformen der Alpen, des Balkan und der Romania.

Slowenien ist ein Land mit vielen  Geschichten. Jedes slowenische Kind kennt beispielsweise die Sage von der Ajdovska Deklica, dem Heidenmädchen, das einem Neugeborenen voraussagte, es werde dereinst den Gamsbock mit den goldenen Hörnern töten. Dafür wurde das Heidenmädchen versteinert und in die Felswand des Berges Prisank verbannt, von wo sie noch heute traurig herunter schaut.

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Die Slowenen lieben ihr eigenes Land, man erkennt das daran, mit wieviel Gespür für Details und Feinheiten sie es für sich und ihre Gäste herrichten. Slowenien ist nicht laut, Slowenien ist nicht groß, Slowenien ist nicht arrogant.

Das Andere, das Geheimnisvolle, das Rätselhafte stimuliert mich und zieht mich immer wieder in die Ferne. Denn oft schmeckt alles, was mich unmittelbar umgibt oder in meiner Nähe ist wie ein Glas abgestandener Prosecco zum Frühstück. Slowenien ist nah und doch auch fern. Vertraut, und doch entdecke ich es jedes Mal neu.

REGINA M. UNTERGUGGENBERGER

Regina wollte schon als kleines Kind Geschichten schreiben. Später, bereits tief im Berufsalltag einer Kommunikationsentwicklerin verankert, wollte sie unbedingt fotografieren. Heute macht sie beides. Sie erzählt Geschichten in Bild und Wort. Geschichten von besonderen Menschen, Plätzen und Begegnungen. Dabei legt sie stets Wert auf die innere Verbindung zu den Menschen, Landschaften und Dingen, die sie portraitiert.

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