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Galeriegespräch

Landscape in my mind #2

von | 20. August 2015

Im ersten Teil dieser Beitragsreihe beschäftigt sich Helmut Denk ausführlich mit dem Ausstellungskonzept von Landscape in my Mind, der Düsseldorfer Photoschule sowie deren Gründern Bernd und Hilla Becher.  Kurator Florian Steininger hatte die Ausstellung so angelegt, dass jeder Raum einem eigenen Landschaftsthema gewidmet ist. In appetitliche Häppchen aufgeteilt, geht es im zweiten Teil um die Räume Meer, Straßen und Wege sowie Weltall.

Raum Meer

Elger Esser (geb. 1967 in Stuttgart)

Elger Esser wird in Deutschland geboren und wächst in Rom, Italien auf. Er ist bekannt für seine großformatigen meditativen Landschaften, die wie alte Ansichtskarten wirken. Diese nimmt er vor allem in der französischen Provinz auf. Elger Esser fotografiert seine Bilder mit einer analogen Plattenkamera (Großbildkamera). Charakteristisch ist die Poesie in seinen Arbeiten.

Hier zwei Beispiele dazu:

homotheticElger Esser Metz I, Frankreich, 2010 – C-Print, DiaSec; Quelle: http://ropac.net/exhibition_work/nocturnes

elger_esserElger Esser Lyon II, Frankreich, 2009. C-print & DiaSec; Quelle: http://www.artnews.org/ropacparis/?exi=18537&Thaddaeus_Ropac&Elger_Esser

Esser studiert bei Bernd Becher in Düsseldorf. Schon seit seiner Kindheit entwickelt er eine starke Leidenschaft für Postkarten. Seine Sammlung zählt inzwischen über 25.000 Postkarten. Die Postkarten stammen alle aus der Zeit um 1900. Wie ist es dazu gekommen? Bei einer Reise durch Frankreich entdeckt er die Landschaft für sich als Thema, und er beginnt Postkarten zu kaufen. Dabei dienen Esser die historische Landschafts- und Reisefotografie ebenso als Inspiration wie die italienische Vedutenmalerei oder die holländische Landschaftsmalerei des 17. Jahrhunderts. Die Vedutenmalerei ist eine Gattung der Landschaftsmalerei. Die Bezeichnung Vedute kommt aus dem Italienischen (Veduta) und bedeutet übersetzt so viel wie „Ausblick“. Sie gibt in der Regel sachlich und wirklichkeitsgetreu eine Landschaft, Stadt oder Architektur wieder.

Bei der in der Ausstellung Landscape in my mind gezeigte Arbeit Saint-Jeande-Luz, verwendet er einer seiner Postkarten. Er nimmt ein Detail heraus und vergrößert es mittels moderner Vergrößerungstechniken erheblich, sodass die Körnung der historischen Vorlage erkennbar ist. Das angeführte Bild hat eine Größe von 184 x 285 cm. Die Originalpostkarte ist in Schwarz-Weiß. Anschließend wird die Arbeit koloriert. Dadurch schafft er ein Unikat.

esser-1-e1440104391646Elger Esser, 33 Saint-Jean-de-Luz; Frankreich. Quelle: Aus dem Buch Landscape in my Mind abfotografiert.

Die Motive seiner Bilder sind nicht spektakulär. Es werden Flüsse, Marschlandschaften, einfache Höfe und Dörfer in der Provinz, Stadtlandschaften, Blicke aufs Meer, mit langer Belichtungszeit aufgenommen. Auf den großformatigen Aufnahmen ist oft nicht viel zu sehen, es dominiert Leere, die Endlosigkeit von Himmel und Meer. Das Besondere in seinen Bildern sind jedoch die Farben. Gelb- und Brauntöne bestimmen die meisten Fotos, monochrome Sepiatöne, wie man sie aus den Anfangstagen der Fotografie kennt, tauchen alles in eine unwirkliche Atmosphäre die dem Bild eine zeitliche Entrücktheit verleiht. Essers Arbeiten wirken bei aller Intensität und Schärfe entrückt, melancholisch, poetisch.

Die Nachbearbeitung seiner Bilder ist ein wichtiger Bestandteil im Schaffensprozess Essers. Er nutzt immer wieder alte Techniken, etwa das fotomechanische heute fast ausgestorbene Druckverfahren der Heliogravüre, das eine ungeheure Schärfe und Tiefe erlaubt.

Esser sagt, Landschaften seien wie Seelenzustände, und „jeder von uns trägt eine Landschaft in sich, die er natürlich auch idealisiert“. Seine meisterlich komponierten Bilder sind Blicke in die Vergangenheit, die Erinnerungen freisetzen, Gefühle von Kindheit, von Vergangenheit, idealisierte Bewusstseinszustände.

Julie Monaco (geb. 1973 in Wien)

Julia Monaco studiert ab 1991 in Wien an der Akademie der Bildenden Künste, zuerst in der Meisterklasse für freie Grafik, danach Neue Medien, Bildhauerei und Medienübergreifende Bild- und Raumgestaltung. Nach einem Studienjahr in den USA diplomiert sie an der Wiener Universität für Angewandte Kunst.

Julie Monacos Arbeiten entstehen am Computer. Was wie ein weiter Horizont, ein stürmisches Meer, ein Gewitter oder wie eine Wolkenfront aussieht, sind rein durch Formeln und Rechnungsleistungen am Computer erzeugte Bilder. Dies geschieht auf Basis fraktaler Algorithmen, numerischer Codes und softwaregesteuerter Rechenprozesse. Digital und analog hergestellte Formen und Strukturen werden geschichtet und überlagert um daraus Ähnlichkeiten und Differenzen, Wiederholungen, Rückkoppelungen und Variationen zu generieren. Sie arbeitet hierfür mit einem Computerspezialisten zusammen, der das entsprechende Programm schreibt. Das Ergebnis lässt Julie Monaco dann als chromogenic Print, also Farb-Ausdruck ausarbeiten beziehungsweise die schwarz-weißen Arbeiten als analoge silvergelatin Prints, die dann jeweils auf Aluminium aufgezogen werden.

Das Oeuvre der Künstlerin umfasst cinemascopehafte Seestücke, serielle Arbeiten in Anlehnung an Minimal Art und Konzeptkunst bis hin zu kühnen Kompositionen, die an Werke des abstrakten Expressionismus oder der nachmalerischen Abstraktion erinnern. Sie bedient sich dabei verschiedener Sujets aus der Kunstgeschichte um die Illusion zu verstärken, so z.B. dem Breitformat für Seelandschaften mit tief liegendem Horizont und dramatischen Wolkenformationen.

juliemonacoJulia Monaco cs_02/2, 2005, C-Print, Diasec auf Aluminium 112,5 x 200 cm. Quelle: https://31.media.tumblr.com/7d2e9ae40d947dff76160b48fe6ca3d0/tumblr_inline_njpz0mexXx1rqwaub.jpg

Raum Straßen und Wege

Bernhard Fuchs (geb. 1971 in Haslach an der Mühl)

Bernhard Fuchs war Meisterschüler an der Hochschule für Grafik und Buchkunst von Timm Rautert in Leipzig. Ein zentrales Thema seiner Arbeit ist das Mühlviertel, die Gegend seiner Herkunft. Die hier gezeigten Beispiele stammen aus der Serie Straßen und Wege, die zwischen 2004 und 2009 in Oberösterreich entstehen. Es sind sehr intime, undramatische, unspektakuläre und beruhigte Arbeiten, nüchtern und zurückhaltend in der Farbe, die im quadratisches Bildformat gestaltet werden. Quadratische Formate sind für die Landschaftsfotografie ein eher unübliches Format. Fuchs arbeitet in Serien, die jeweils durch ein Buch dokumentiert werden.

fuchsBernhard Fuchs Güterweg, Dobring, 2005. Quelle: http://www.robertmorat.de/artists/fuchs/photogr_fuchs.html

fuchs2Bernd Fuchs, Pfad, Helfenberg (Straßen und Wege), 2004. Quelle: http://fokussiert.com/2012/07/30/bernhard-fuchs-ungeschontes-landleben/

Raum Weltall

Thomas Ruff (geb. 1958 in Zell am Harmersbach)

Gehört inzwischen zu den renommiertesten deutschen Fotografen der mittleren Generation. Er unterrichtet von 2000 bis 2006 die Klasse für Fotografie an der Kunstakademie Düsseldorf.

Schon während seines Studiums setzt er sich mit der konzeptionellen Fotografie in Serien auseinander. Seine gewählten Themen sind zunächst Interieurs, Innenansichten von deutschen Wohnräumen mit typischen Einrichtungen der 1950er bis 1970er Jahre (Raumansichten und Details). Danach folgen Porträts und Ansichten von Gebäuden. Die Portraits zeigen in der Regel übergroße und passbildartige Portraits von Ruffs Kommilitonen, die er ungeschminkt und vor weißem Hintergrund in hoher Detailschärfe und mit ernstem Blick abfotografiert. Er setzt damit die gängigen Porträtvorgaben außer Kraft, Gefühlsregungen sind also nicht erlaubt. Ruff will mit dieser Serie eine Verbindung zwischen diesen Portraits und den polizeilichen Überwachungsmethoden in den 1970er Jahren aufzeigen.

zwischenablage-5Porträt 1988 © VG Bild-Kunst, Bonn 2011. Quelle: http://www.hausderkunst.de/forschen/editionen/detail/thomas-ruff-edition-mars15-201112-1/?no_cache=1

Ruffs Gebäudeaufnahmen wirken distanziert und werden digital bearbeitet, um störende Einzelheiten zu entfernen. Bezogen auf Licht, Perspektive und Standort ist die Aufnahmetechnik standardisiert.

Danach folgen ab 1989 Aufnahmen des Sternenhimmels, die nicht mehr auf eigenen Fotografien beruhen. In den Jahren 1992 bis 1995 entstehen Nachtaufnahmen (nächtliche Außen- und Gebäudeansichten) mit einem Nachtsichtgerät, das offenbar bewusst analog zum militärischen Einsatz sowie zum Spionageeinsatz benutzt wird.

2003 veröffentlicht Thomas Ruff den Foto-Band Nudes mit einem Text des französischen Schriftstellers Michel Houellebecq. Ruffs Aufnahmen liegen Porno-Fotos aus dem Internet zugrunde, die er mit Hilfe elektronischer Bildbearbeitung, Weichzeichnern, Vergrößerungen und Unschärfen verfremdet.

ruffNudes yv16 2001, aus der Serie: nudes, © VG Bild-Kunst, Bonn 2011. Quelle: http://www.hausderkunst.de/forschen/editionen/detail/thomas-ruff-edition-mars15-201112-1/?no_cache=1

Das selber fotografieren hat Thomas Ruff inzwischen aufgegeben, er arbeitet heute fast ausschließlich mit Fremdmaterial, das er mit dem Computer bearbeitet. Die bei der Ausstellung gezeigten Arbeiten stammen aus drei verschiedenen Serien, die sich mit dem Thema Weltall beschäftigen. Dies repräsentiert auch das starke Interesse des Künstlers an der Astronomie.

Bei der Serie Sternenbilder aus den frühen 90ziger Jahren verwendet Ruff Negative von anonymen Fotografen aus dem Archiv der Sternwarte des European Southern Observatory, das in den südamerikanischen Anden liegt. Die riesengroßen Negative (29 x 29 cm) zeigen Aufnahmen des gesamtem südlichen Sternenhimmels. Ruff wählt dann aus persönlichen Gesichtspunkten einen ganz bestimmten ästhetischen Ausschnitt aus, der  auf eine Bildgröße von 260 x 188 cm vergrößert wird. Die Bilder weisen dann eine starke Schwarz-Weiß-Struktur von großer künstlerischer Anziehung auf.

ruff2Aus der „Sternenhimmel”-Serie: Thomas Ruffs „15h 24 m/-25°” Quelle: http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/auktion-mit-thomas-ruff-zu-den-sternen-137817/aus-der-sternenhimmel-serie-168494.html

Bei der zweiten Serie ma.r.s aus dem Jahre 2010 bedient er sich wieder an öffentlich zugänglichem Material, diesmal von der NASA. Es handelt sich dabei um topografische Sichten auf den Mars, die von der Raumsonde Mars Renaissance Orbiter gesendet werden. Die hochauflösenden, schwarzweißen Digitalbilder lädt er von der Internetsite der NASA herunter, anschließend verändert er die Perspektive (gekippt, gestaucht, gestreckt) und koloriert die Bilder.

ruff3Thomas Ruff, ma.r.s. 08_I, 2012 Quelle: http://www.thatscontemporary.com/events/j_m_s_s_z/1402

Die dritte Serie jpeg, basiert auf dem gleichnamigen Komprimierungsverfahren von Bilddaten. Dazu nimmt er wieder Bilder aus dem Internet, komprimiert sie sehr stark um sie anschließend wieder hochrechnen zu lassen, bis die Pixelstruktur der Bilddatei sichtbar wird. Es entstehen dabei zwei Effekte. Der erste Effekt lässt die Pixel (5 x 5 mm) deutlich  im Bild erscheinen. Sie besitzen nur eine Farbinformation. Der zweite Effekt ist ein Blockartefakt das aus 8 x 8 Pixel besteht. Blockartefakte sind rechteckige und oft mehrfarbige visuelle Störungen in digitalen Bildern, die als unerwünschte Begleiterscheinung der Bildkompression aber auch bei Datenverlust aufgrund von Lesefehlern auftreten können.

Ein digitales Bild besteht aus vielen tausenden Bildpunkten, deshalb wird man die Malerei des Impressionismus oder Pointillismus erinnert. Das Bild wirkt sehr unscharf und kann Schwindel verursachen ;-).

ruff4Thomas Ruff, jpeg icbm04, 2007. Quelle: Aus dem Buch Landscape in my Mind abfotografiert.

Das war’s, liebe Freunde der künstlerischen Fotografie. Vielleicht regen Euch die teils recht unkonventionellen Herstellungsverfahren ja an, wieder mal zu experimentieren und was Neues auszuprobieren!??

Fortsetzung folgt …

HELMUT DENK

Helmut ist im Zivilberuf Projektmanager. Na ja, dort kann er seine künstlerische Ader nicht so ergiebig ausleben. Deshalb genießt er es umso mehr, mit der Kamera in der Hand spazieren zu gehen, Motive zu entdecken, zu fotografieren und die Fotos – detailgenau wie er nun mal ist – dann mittels Bildbearbeitung zu verfeinern. Eine Haarsträhne, die blöderweise quer ins Gesicht rein hängt, in Photoshop pixelgenau weg zu „stempeln“? Nicht verzagen, Helmut fragen!

2 Kommentare

  1. Analysen sind ja üblicherweise eher trocken. Dieser Beitrag lädt mit den geschilderten Herstellungstechniken aber zum Kreativsein und Querdenken ein. Danke Helmut!

  2. Danke, Helmut, für diese Erinnerungen an eine Ausstellung, die mich vor allem wegen der Vielfalt der gezeigten Bilder beeindruckt hat. Dein Schlusswort sollte einem alle paar Wochen einmal ins Gedächtnis gerufen werden.

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