Marokko
Winterzauber im Kärntner Lesachtal

Bleib doch bis es schneit …

von | 28. Februar 2016

Es hatte geschneit, knapp ein halber Meter Neuschnee hatte mein Tal über Nacht in ein Winterwunderland verwandelt. Ich ging zur Volksschule und hoffte inständig, meine Mutter würde mich an diesem Tag nicht zum Unterricht schicken. Der Gedanke im Schnee herum zu toben war viel erquicklicher als die Aussicht, die zwei Kilometer vom Berg ins Tal zu stapfen. Doch wie immer hielt sie Ausschau, ob die Nachbarskinder, die gut zwei Kilometer von uns entfernt wohnten und jeden Tag einen Schulweg von zweimal fünf Kilometern zurücklegten, an unserem Haus vorbei kamen. Denn wenn sie durch den Schnee spurten, wäre es nicht zu rechtfertigen, dass ich zuhause bliebe. Dieses Mal hatte ich Glück. Sie kamen nicht. Einige Stunden später, die Nebelschleier waren gerade aufgerissen, hatten wir die Straße zur Rodelstrecke umfunktioniert. Wir Kinder waren vollkommen aufgekratzt und stapften wie besessen jedes Mal wieder bergwärts um noch einmal hinunter zu brausen.

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Als Kind war es ein absolutes Highlight, wenn es wieder einmal geschneit hatte. Mehr als zwanzig Jahre später bedeutete Schneefall vor allem eines: Stress! Früher aufstehen, Auto ausschaufeln, Eis kratzen, hoffen, dass man die leicht ansteigenden hundert Meter hoch zur Bundesstraße kommt ohne Schneeketten anlegen zu müssen, um rechtzeitig zur Arbeit zu kommen. Einige Jahre früher, als ich zu Schul- und Studienzwecken noch in Klagenfurt lebte, einer Stadt, in der immerhin rund 100.000 Menschen wohnen, war Schneefall sowieso mein persönliches Waterloo. Denn der durchschnittliche Städter reagiert bereits bei zehn Zentimetern Neuschnee seine frühmorgendliche Hysterie und Überforderung am Mitmenschen ab.  Die Romantik der Kindertage war der Ernüchterung und den Gegebenheiten des Erwachsenenlebens gewichen.

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Und noch eine Facette war hinzu gekommen. Zunächst hatte ich mir trotz des Schneeschaufelns immer noch die herrlichen Schitouren vor Augen gehalten, die ich in einigen Tagen, wenn sich der Schnee gesetzt hatte, machen würde. Das wäre zumindest eine Entschädigung. Es mag mit dem Alter, der Lebenserfahrung und dem Umstand zusammenhängen, dass in den letzten Jahren nicht weniger als vier Bekannte – allesamt erfahrene Berg- und Schiführer – von Lawinen begraben wurden. Das Schitourengehen ist mir dadurch gründlich und bisher nachhaltig verleidet.

Manchmal ist es der Leichtsinn von in der Schnee- und Lawinenkunde unerfahrenen Menschen, der zu einem Lawinenunglück führt, manchmal sind es falsche Entscheidungen, die einer gewissen Routine und Betriebsblindheit geschuldet sind. Und manchmal ist es trotz größter Umsicht der Menschen die Natur, das Schicksal, wer weiß das schon so genau, die erbarmungslos zuschlagen.

Bis in die 1960er Jahre hatten viele Bewohner in alpinen Tälern einen Weg durch den Schnee in die hoch gelegenen Bergwiesen spuren müssen, um das Heu, das sie dort im Sommer in „Heuschupfen“ (= Schuppen) oder auf sogenannten „Tristen“ (das Heu wurde kegelförmig um eine lange, dünne Holzstange aufgeschichtet und abgedeckt) gelagert hatten, ins Tal zu holen. Vor vielen Jahren fragte ich meinen Vater einmal, ob es denn da nie ein Lawinenunglück gegeben hätte. Schließlich hatte man bald nachdem es geschneit hatte mit dem „Heuziehen“ begonnen. Er antwortete mir, es hätte da eine einfache Regel gegeben: Solange der „Anhang“ (Schnee auf den Ästen) auf den Bäumen war, hatte man gar nicht erst mit dem Anlegen des Weges begonnen. Nur einmal sei ein „Heuzieher“ von einer Lawine erfasst und getötet worden. Er hatte sich nicht an die seit alters her überlieferte Regel gehalten und war aufgebrochen, ehe sich der Schnee gesetzt und die Äste vom Schnee befreit hatten.

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Dass ich mit dem Schnee trotz Schneeschaufelns, Kettenanlegen und Lawinenunglücken doch irgendwie Frieden schließen konnte, habe ich der Fotografie zu verdanken. Denn ich mag die manchmal fast unheimliche und verwünschte Stille, wenn es frisch geschneit hat und niemand unterwegs ist. Wenn ich dann mit meiner Kamera zu einem Spaziergang aufbreche, mich manchmal etwas abseits des Weges in den hüfttiefen Schnee stelle um ein Foto zu machen wirkt es fast, als ob die Zeit ihren Atem anhielte.

Irgendwann steigt der Nebel höher, das Licht wird heller, die Sonne bricht durch, zuerst zaghaft und weich durch die milchige Nebeldecke, dann enthüllt sie den tiefblauen Himmel und malt harte Konturen in den glitzernden Schnee. Vereinzelte Nebelfetzen wirbeln durch die Luft und der Nordwind treibt bausbackige Wolken vor sich her. An den Kanten von Dachstühlen tropft  bereits wieder Tauwasser herab, das über Nacht zu Eiszapfen frieren wird. Die Zweige schütteln den Schnee ab. Und während ich meine Kamera einpacke und nachhause schlendere, wird der Weg vom Berg ins Tal kurzerhand zur Rodelstrecke, auf der sich quietschvergnügte, unbeschwerte Kinder ein Wettrennen liefern.

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REGINA M. UNTERGUGGENBERGER

Regina wollte schon als kleines Kind Geschichten schreiben. Später, bereits tief im Berufsalltag einer Kommunikationsentwicklerin verankert, wollte sie unbedingt fotografieren. Heute macht sie beides. Sie erzählt Geschichten in Bild und Wort. Geschichten von besonderen Menschen, Plätzen und Begegnungen. Dabei legt sie stets Wert auf die innere Verbindung zu den Menschen, Landschaften und Dingen, die sie portraitiert.

6 Kommentare

  1. Aber dafür gibt’s am Neusiedler See ganz herrliche Eisschollen, die wir mangels Badeseen in den Bergen nicht haben

  2. Ein sehr persönlicher und unterhaltsamer Text ist da wieder aus Deiner Feder geflossen. Wir werden uns vielleicht noch an schneefreie Winter in den Tälern gewöhnen müssen. Hoffentlich nicht zu bald.

  3. vielen dank, gottfried, für deine anerkennenden worte.

    ich gebe dir recht, wer weiß, ob die zeiten, in denen die kinder „schneefrei“ bekamen, nicht klimabedingt im verschwinden sind. wenn dem so wäre, wäre es schade – aber ich denke, es würde meine einstellung zum schnee nochmals verändern. wie ich schrieb, ist es gerade in schneereichen wintern auch mühsal und last. und alles, was man im überfluss hat, nimmt man oft auch gar nicht mehr als etwas besonderes wahr …

  4. Du hast mich mit deiner amüsanten wie besinnlichen Betrachtung an meine eigene Kindheit erinnert – ja, es gab tatsächlich auch im Osten Österreichs einmal viel Schnee….

  5. Ein wunderschöner und spannender Bericht, liebe Regina. Die dazu passenden Schneefotos sind natürlich –wie immer- erste Sahne. Hier bei uns im Rheinland schneit es ganz selten. Und wenn doch einmal, ist meist am nächsten Tag wieder alles weg. Um „meine“ Schneefüchse zu Filmen, fahre ich meist im Januar/Februar zur Ranzzeit in die Eifel (morgens und abends etwa 120 km).
    Ich kann mich noch an den ersten Winterurlaub bei deinen Eltern erinnern. Wir waren wegen freier Straßen schneller als im Sommer bei euch. Allerdings mußten wir in Klebas Schneeketten anlegen (natürlich am Berg :-) ) und haben dadurch die Fahrzeit um etwa 2 Stunden „versaut“.
    Am nächsten Morgen war unser Auto komplett eingeschneit, sodaß man von der eigentlichen Farbe überhaupt nichts mehr sehen konnte. Was will man mehr :-)

  6. Ja Helmut, die letzten zwei Kilometer den Berg hoch, die haben es in sich. Alternativ zu den Schneeketten musste sich Mutti manchmal vorn auf die Kühlerhaube des VW-Käfer setzen. Heuer hatten wir aber weder im Lesachtal noch hier in Osttirol besonders viel Schnee. Umso schöner sind die Erinnerungen an den tief verschneiten Tscheltsch. Wer weiß, vielleicht kommt der Schnee ja noch?
    Dass du die nicht gerade kurze Anfahrt in die Eifel auf dich nimmst, um Schneefüchse vor die Linse zu bekommen, finde ich klasse. Von nix kommt nix, gell …

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