Kreta
Über das Fremdsein

Mein Nachbar, der Asylwerber

von | 14. April 2016

Prolog

Grenzzäune, Flüchtlingsströme, Obergrenzen und ähnlich technische Begriffe prägen in den letzten Monaten unsere Medienlandschaft. Diese kalt anmutenden Phrasen werden bewusst verwendet um zu verschleiern, dass es hier um Menschen geht. Menschen, die aus unterschiedlichsten Gründen ihre vertraute Umgebung, ihre Freunde, ihre Heimat verlassen haben.

Letzten Sommer hat in meiner Nachbarschaft eine Familie aus Afghanistan eine vorübergehende Bleibe gefunden und wartet auf den Ausgang des Asylverfahrens.

Im Feber 2015 war der Leidensdruck von Mahmood S. und seiner Frau Zarmina so groß geworden, dass sie sich entschlossen, mit ihren sechs Kindern die Heimat zu verlassen. Ihr siebtes Kind, Mohammad, wurde auf der Flucht geboren. Die beiden ältesten Kinder besuchen mittlerweile die Neue Mittelschule, zwei weitere Kinder die Volkschule und ein Kind den Kindergarten.

Da die Wohnung für unsere afghanischen Nachbarn von der Pfarre St. Nikolaus (Innsbruck) zur Verfügung gestellt wird, begleitete ich Diakon Wolfgang Geister-Mähner zu einem Besuch, bei dem er mit Mahmood S. nachstehendes Interview führte.

Da Mahmood S. noch kaum Deutsch und auch nur wenig Englisch spricht, wurde das Gespräch von einem Landsmann Mahmoods gedolmetscht, der schon länger in Österreich lebt.

Über das Fremdsein in Innsbruck und am Hindukush

Mahmood, wenn du an deine Heimat denkst, was fällt dir ein?

Wir hatten östlich von Kabul ein großes Haus. Ein Haus mit Gästezimmer. Mit Gedanken zur Flucht hatte ich mich lange nicht beschäftigt. Doch dann haben wir letztes Jahr alles zurückgelassen. Ich musste um mein Leben, das meiner Frau und meiner Kinder fürchten. Kidnapper hatten mich bedroht und gewaltsam festgehalten und nur gegen eine hohe Geldsumme freigelassen. Ich war vermögend und durch meine Arbeit im Geldwechsel auch in den Ländern Pakistan und Dubai unterwegs. Meine Angst, weiter in meiner Heimat zu bleiben, wuchs, denn mein Bruder war vor acht Jahren getötet worden. Er war wie ich vermögend. Als ich mir wegen meiner eigenen Erfahrungen besonders Sorgen machte, war trotz Bezahlung von Geld ein Kollege von mir getötet worden. Da war für mich klar geworden, wir können nicht bleiben. Klar, die Lebensqualität meines Hauses hab ich hier nicht, aber ich habe Sicherheit für meine Familie gewonnen. Wir wollen versuchen, hier neu anzufangen.

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Wie steht es um das afghanische Rechtssystem?

Die verantwortlichen Politiker schützen ihre Bürger nicht. Ihr eigenes Leben ist ihnen wichtiger. Sie lassen sich gegen Geld  bestechen. Sobald sich jemand mit Waffengewalt wehrt, ist weitere Waffengewalt die bittere Konsequenz. Keiner traut sich diese kriminellen Menschen festzunehmen. Wenn versucht wird, ihre Machenschaften aufzudecken, muss man selbst um sein Leben bangen. Als vermögender Geschäftsmann kann man in Afghanistan nicht leben. Ich hatte für mich und meine Kinder einen Bodyguard. Doch auch das schützt letztendlich nicht. Unsere älteren Kinder sind zur Schule. Am Ende wurde die Sorge unerträglich, ob sie auch immer wieder wohlbehalten nach Hause kommen.

Wer sind  diese kriminellen Menschen?

Für mich sind sie wie eine Mafia. Sie üben Druck auf die Regierung und haben Kontakte zu den Taliban. Sie sind Diebe und scheuen sich nicht davor zu töten. Es herrscht Chaos, diese Menschen haben kein Herz für Andere.

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Wie sieht heute euer Tagesablauf aus?

Ganz neu für mich. In der Früh gehen die Kinder allein zur Schule, ich bringe unsere Tochter zum Kindergarten und hole sie dort ab. Meine Frau kümmert sich um die zwei Kleinen. Dann mache ich Hausübung, denn nachmittags von Zwei bis Fünf habe ich montags bis donnerstags Sprachkurs.

Wie siehst du hier eure Zukunft?

Ich hatte alles in Afghanistan. Ich hätte meine Heimat nicht verlassen, wenn nicht die Probleme so groß geworden wären. Auch hätten wir nicht die gefährliche Flucht auf uns genommen. Um unser Leben zu schützen, sahen wir keine andere Wahl. Jetzt will ich hier eine gute Sache machen. Ich hoffe im Bereich der Gastronomie. Die Kinder sind schon mehr hier ohne zu fragen, warum wir hier sind. Und wenn sie fragen, antworte ich, hier braucht ihr keine Angst zu haben.

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Ich selbst bleibe immer wieder lang wach und kann nicht schlafen. Ich kann hier nicht sprechen, ich werde mit meiner Sprache nicht verstanden. Das ist schwer. Aber wir haben schon Landsleute in den Nachbarorten Mutters und Natters gefunden. Und es gibt auch eine Moschee.

Wichtig ist, dass ich die deutsche Sprache sprechen lerne.

Vielen Dank, Mahmood, für unser Gespräch!

KLAUS SPIELMANN

Als ausgebildeter Geograf und Geoinformatiker beschäftigt sich Klaus insbesondere mit räumlichen Phänomenen. Dabei ist es unerheblich, ob es sich um natürliche, durch den Menschen gestaltete oder auch virtuelle Räume handelt, auf die er sich als Geograf, Raumplaner, Geoanalytiker, Kartograf oder Fotograf einlässt.

2 Kommentare

  1. Lieber Klaus, mich würde das Entstehen dieser Geschichte interessieren. Wie kamst du zu dem Thema? Wie hast du es eingefädelt, dass du als Fotograf mit durftest? War Mahmood gleich offen, sich fotografieren zu lassen? Wie hast du selbst dich währenddessen gefühlt?
    Es würde mich jedenfalls freuen, wenn wir Mahmoods Geschichte hier am Blog weiter verfolgen würden.

  2. Finde ich gut, eine Einzelperson vorzustellen, und der Einblick in die Situation im Herkunftsland ist ebenfalls wertvoll.
    Danke, gut gemacht!

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